In einem fast rituellen Wiederholungsakt taucht Ana Pusica ihre verfremdeten Selbstporträts in einen eruptiven Pigmentchaos, um im Prozess des Malens diese wieder zu einer figürlichen Darstellung zu zähmen.
Daniele Dell´Eva beschreibt den Entstehungsprozess seiner Skulpturen als eine Annäherung und Entfernung von der menschlichen, „eigentlichen“ Form, einer Form, die uns am nächsten, am bekanntesten und zugänglichsten sei, einerseits. Andererseits ist menschliche oder zumindest vermenschlichte Erscheinung in der Kunstgeschichte das Motiv schlechthin. Ein Hinweis auf das Verstehen wollen der eigenen Existenz und des Phänomens des Menschseins im Allgemeinen. Gewiss hat auch das anthropozentrisches Weltbild unserer Zivilisation maßgeblich zu der Dominanz des Motivs beigetragen.
Die immerwährende Auseinandersetzung der Philosophie, der Theologie und der Kulturgeschichte mit diesem Gegenstand ist ein fortwährender Diskurs, mit unzähligen Ebenen. Ein Thema, das ständiger Diskussion bedarf und keiner Argumentation wirklich standhält.
Beschränkt man sich auf die Geschichte der menschlichen „Darstellung“ ab dem 20. Jahrhundert, so findet man auch in diesem relativ überschaubaren zeitlichen Abschnitt zahllose unterschiedliche Interpretationsversuche. Dennoch findet sich ab dem Anfang des 20. Jahrhunderts eine Tendenz der Abstraktion im Sinne von Dekonstruktion, Fragmentierung und Neuerschaffung, daher der intellektuellen Manifestation des Hinterfragens auf der bildlichen Ebene. Ein Prozess, der in anderen Disziplinen auf eine philosophische und kultische Ebene viel früher, spätestens seit der Antike weltweit stattfand.
Der Grad der Abstraktion der analogen und digitalen Auseinandersetzung mit der menschlichen, (oder mit der eigenen) Erscheinung in der zeitgenössischen visuellen Kunst variiert ebenfalls stark. Die anthropomorphe Form kann die Ambivalenz des Verhältnisses der äußeren statischen Hülle und dem inneren Fluidum darstellen, kommunizieren und zugleich zum reinen Mittel zum Zweck als formaler Ausgangspunkt instrumentalisiert werden. Zumal das Wort Ausgangspunkt auch eine gewisse Doppeldeutigkeit in sich birgt.
Die Gemälde von Ana Pusica und die Skulpturen von Daniele Dell´Eva entstehen in den sogenannten traditionellen Medien, bezugnehmend auf die avantgardistische De- und Neukonstruktion der lesbaren Formen. Dennoch sind ihre Bildsprachen und ihre inhaltliche Auseinandersetzung ausschließlich im zeitgenössischen Kontext zu verorten. Ihre jeweilige Herangehensweise kombiniert die individuellen und universellen Aspekte aus dem Fundus der Kultur-Philosophiegeschichte mit dem Selbstbewusstsein der zeitgenössischen Künstler*innen um die Gewissheit ihrer bewussten Subjektivität. So ist es angesichts der Gemälde der Künstlerin Ana Pusica kaum vorzustellen, dass die meisten ihrer Bilder eben diesen Ausgangspunkt, das Schema ihrer Kompositionen, in einer menschlichen Figur, und zwar in dem sogenannten „Selfie“ finden oder Daniele Dell´Eva Trap und Techno-Musik heranzieht, um eine bestimmte Stimmung in seinen Arbeiten herzustellen.
Ana Pusicas Arbeiten sind von starken, expressiven Gesten in charakteristisch dominanten Farben auf großen Formaten geprägt, die ihr eine intensive körperliche Mitwirkung abverlangen. Auf diese Weise ist die Künstlerin als Subjekt nicht nur auf intellektueller und emotionaler, sondern auch auf physischer Ebene in ihrem Werk präsent. Ihre überwiegend abstrahierten überdimensionalen Figurationen sind Selbstporträts, deren Bildsprache selbst-dialogisch, räumlich und fast monumental ist.
Interessanterweise ist die eigene physische Präsenz auf eine nicht selbst abbildende Weise auch für Daniele Dell´Eva charakteristisch. Die Abdrücke seiner Hände als Arbeitsspuren bleiben neben den Spuren der Werkzeuge auf den Objekten als Teil der Skulpturen erhalten. Durch Farbe werden wiederum diese Gesten der Berührung und der Herstellung hervorgehoben und festgehalten.
Seine Werke sind eng mit den Materialien verbunden, die er verwendet. Holz, Gips, Beton, Metall und Pigment werden zum Medium, um seinen künstlerischen Ausdruck in dreidimensionalen Objekten zu formulieren. Neuinterpretation und Reproduktion von archaischen und mystischen, im kollektiven Gedächtnis verankerten Symbolen, Zeichen und Metaphern vermischen sich in seinem Werk zu völlig neuen visuellen Welten.
Text:
Tinatin Ghughunishvili-Brück
München, November 2021